Gregor Schürer
Mit Annika beim Räuber Hotzenplotz
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Mit Annika beim Räuber Hotzenplotz

Freilichtbühne zeigt „gendergerechte“ Aufführung des Kinderbuchklassikers voller Humor, Tempo und Action

  • Hauptdarsteller nehmen Annika in ihre Mitte
    Die beiden jungen Hauptdarsteller nehmen Annika in ihre Mitte, Foto: Schürer

Schuld:

Es erscheint wie ein Wunder: Knapp ein Jahr nach der Flutkatastrophe soll in dem vom Hochwasser stark betroffenen Dörfchen an der Ahr wirklich wieder Theater gespielt werden? Ich kann mir das gar nicht vorstellen und frage das Enkelkind meiner Nachbarn, ob sie zur Premiere von „Der Räuber Hotzenplotz“ mitkommen möchte. Annika wohnt in Mainz, wird im Oktober sieben Jahre alt und kommt nach den Sommerferien in die Schule. „Au, ja!“, ruft sie begeistert, „den kenne ich.“ Kurzer Hand nehmen wir ihre Mutter Anja auch mit und fahren am Samstagabend tief ins Tal hinein.

Im vergangenen Jahr stand der Kinderbuchklassiker von Otto Preußler schon einmal auf dem Programm, nachdem 2020 pandemiebedingt gar keine Vorstellungen möglich waren. Doch nach wenigen Tagen war auf Grund der Flut Schluss mit der Saison, auch wenn die Freilichtbühne oben im Wald nicht von den Wassermassen beeinträchtigt war. Doch als Hoffnungszeichen wollte man den Betrieb in 2022 unbedingt wieder aufnehmen, reaktivierte die Schauspieler und das Stück, nahm einige Umbesetzungen und Veränderungen vor.

Altes Stück, vieles neu

Als wir die Naturbühne erreichen, fällt uns auf, dass der Parkraum kleiner geworden ist, wo sonst Autos standen, ragen nun zwei riesige Funkmasten in die Höhe. Doch die routinierten Einweiser kriegen das locker hin. Wir nehmen auf der überdachten Tribüne Platz, wegen der noch immer bestehenden Coronagefahr hat man auf 400 Plätze begrenzt. Annika ist überrascht, wie groß alles ist. Ich entziffere mit der künftigen Erstklässlerin die Schilder „Räuberwald 500m“, „Halt! Stopp!“, dann ertönt der Gong und es geht los.

Die Geschichte von der Großmutter, deren Geburtstaggeschenk, eine musikalische Kaffeemühle, vom Räuber Hotzenplotz gestohlen wird, ist den meisten bekannt. Wie schwungvoll, lustig und kurzweilig die Abenteuer von Seppel und Kasperl, die sie ihm mit dem Goldkistentrick wieder abjagen, umgesetzt wird, weiß man erst nach der umjubelten Premiere.

Regisseur Jens Kerbel hat die Inszenierung nicht nur mit den gewohnten lokalen Bezügen versehen, sondern auch mit aktuellen Aspekten gespickt. Als „running gag“ verwendet er dabei die gendergerechte Sprache, denn natürlich muss man heutzutage alles mit *Innen sprechen. Dafür sorgt Griselda Glibberbein, die Beauftragte der mittleren Landesbehörde für Zauberei aus Koblenz. Dass in Schuld die Seppel ein Mädchen ist, zeigt allerdings: Hier wird nicht nur von Gleichstellung geredet, hier wird sie gelebt.

Temporeiche erste Hälfte

Ich staune mit meiner kleinen Begleiterin über die wilde Verfolgungsjagd, da wird viel geboten, auch pyrotechnisch. Und wenn die Pfefferkanone wegen eines Fehlers nicht zünden will, ruft der Titelheld einfach laut PENG und gut ist.

Nach einer atemlosen Stunde ist Pause und wir stärken uns am Imbiss-Stand, der allerhand zu bieten hat.

Die Abenteuer gehen im zweiten Teil munter weiter, es gibt viel zu lachen und zu staunen. Da werden Unken in Feen verwandelt, da schaut man in einem Zauberspiegel und man lernt, wie lange es dauert, acht Eimer Kartoffeln zu schälen.

Mit großem Elan und enormer Präsenz sind die vielen Akteure dabei. Von den Hauptpersonen bis zur kleinsten Rolle ist die Spielfreude deutlich spürbar. Bis am Ende alles wieder da ist, wo es hingehört. Also die Kaffeemühle bei der Großmutter und der Hotzenplotz hinter Gittern.

Ende mit Knalleffekt

Das Publikum klatscht begeistert, auch Annikas kleine Hände sind dabei und wir rufen „Bravo!“. Und als sich alle Mitwirkenden, das sind nicht nur die Darsteller, sondern die vielen helfenden Hände hinter der Bühne, zum verdienten Schlussapplaus verneigen, knallt auch noch mit Verspätung die Kanone.

Ich frage den Kasperl und die Seppel, ob wir noch ein Foto mit meiner Begleiterin machen können und auch dieser Wunsch wird erfüllt.

Wer sich diesen Theaterspaß entgehen lässt, muss damit rechnen, in einen Gimpel verwandelt zu werden. Deswegen auf nach Schuld! Gespielt wird bis 07. August immer samstags um 19:00 Uhr und sonntags um 15:30 Uhr, außerdem am Freitag, den 29. Juli bzw. 05. August um 19:30 Uhr. Kartenvorbestellungen unter Telefon 0651/9790777 oder unter www.ticket-regional.de/fbschuld.

Und Annika: Ist auf dem Rückweg im Auto eingeschlafen. Ob sie dabei vom Zauberer Petrusilius Zwackelmannm, von der Fee Amaryllis oder von den lustigen Kobolden Zwick und Zwack geträumt hat, wollte sie mir nicht verraten.

– SCHÜ

Erschienen im BLICK aktuell vom 05.07.2022

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