Gregor Schürer
Jim Knopf und zwölf Wilde auf abenteuerlicher Reise
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Jim Knopf und zwölf Wilde auf abenteuerlicher Reise

  • Alle Mitwirkenden
    Am Ende werden alle Mitwirkenden der Freilichtbühne Schuld – es sind viele an der Zahl – vom Publikum stürmisch gefeiert. Foto: SCHÜ

Freilichtbühne Schuld wagt sich zum 75. Jubiläum an Michael Endes Klassiker – eine echte Herausforderung

Schuld. Auf der einen Seite des Ahrtals schreibt man „#wieder-bunt“ auf Plakate und stellt farbige Blumentöpfe auf. Auf der anderen malt sich die Farbe ins Gesicht und spielt Theater. Seit 1948 wird in Schuld Freilichttheater gemacht, das können weder Corona noch eine Flut verhindern. Hatte man in 2022 mit dem Räuber Hotzenplotz noch das Stück des Vorjahres wieder aufgenommen, wagt sich die Spielschar zum 75-jährigen Jubiläum an eine komplette Neuinszenierung. Und während es unten im vom Hochwasser stark gebeutelten Dorf an der Ahr noch schlimm aussieht, kehrt oben auf der Lichtung im Wald ein Stück Normalität zurück.

Ein Klassiker zum Jubiläum

Michael Endes Klassiker „Jim Knopf und die wilde 13“ steht auf dem Programm: Eine echte Herausforderung, denn es handelt sich um ein Stück mit komplexer Handlung und enormem Aufwand an Ausstattung, Bühnenbild und Technik.
Nach langer und intensiver Probenarbeit war am Wochenende Premiere auf der Naturbühne. Die 660 überdachten Sitzplätze sind sehr gut gefüllt, als der dreimalige Gong ankündigt, dass es jetzt endlich losgeht. Und wie es losgeht: Die Piraten von der wilden 13 schießen unter wilden Gesängen eine Kanonenkugel ab. Einmal rund um die Welt soll sie fliegen, doch aufgrund eines Berechnungsfehlers schlägt sie im Leuchtturm von Lummerland ein. Dort herrscht gerade Feststimmung, denn König Alfons der Viertel vor Zwölfte hat bestimmt, dass heute der Geburtstag von Jim Knopf sein soll. Weil der als Findelkind auf die Insel kam, weiß man nicht, wann genau er geboren ist. Mitten in die Feierlichkeiten hinein passiert das Malheur:
Der Postbote rammt mit seinem Schiff die Insel, weil ihn das Licht des Leuchtturms nicht gewarnt hat. Also beschließen Jim und sein Freund Lukas, der Lokomotivführer, kurzer Hand, die Feier zu verschieben. Stattdessen brechen sie auf, um in der Wüste am Ende der Welt den Scheinriesen Tur Tur zu überzeugen, künftig auf Lummerland als Leuchtturmersatz zu fungieren.

Dampflok zu Land, zu Wasser
und in der Luft

Was folgt, ist eine eindrucksvolle Reise, die insbesondere die Techniker und Bühnenbauer in Schuld vor nie da gewesene Herausforderungen stellt: Denn die Lokomotiven Emma und Molly sind nicht nur wie üblich dampfgetrieben zu Land unterwegs, sie reisen auch unter Segeln über das Wasser und fliegen dank Magneten durch die Luft. Darüber hinaus müssen verschiedenste Landschaften und Hintergründe gestaltet werden. Auch die Kostüme und Maske verlangen Höchstleistungen, denn es gilt, neben den „normalen“ Darstellern Figuren wie Seejungfrau, Walross, halbe und goldene Drachen sowie den chinesischen Hof auszustatten. All das gelingt vortrefflich; allerdings hat die Handlung Längen, verzettelt sich in zu viele Schauplätze und Stränge. Hier hätte man der Regie von Jens Kerbel etwas Mut zum Streichen der einen oder anderen Passage gewünscht. Denn eine Spielzeit von fast zweieinhalb Stunden (mit Pause) stellt insbesondere die kleinen Zuschauer vor Konzentrationsprobleme. Dafür ist die Inszenierung stets ideenreich und humorvoll, Wüstenscheichs auf Rollskiern und vollbärtige Falmencotänzerinnen sieht man nicht alle Tage – oder war es doch eine Fata Morgana?

Fulminantes Theater, riesige Spielfreude

Summa summarum ein fulminantes Theaterspektakel, das geboten wird. Das liegt an der überbordenden Spielfreude der riesigen Darstellerschar, ein großes Kompliment an jede und jeden. Tilo Stratmann verkörpert die Titelfigur Jim Knopf keck und aufgeweckt, an seiner Seite agiert der überaus sympathische Mario Stratmann als Lokomotivführer Lukas. Sie steuern nicht nur ihre Lokomotiven, sondern auch die Handlung geschickt und sicher. Eine Klasse für sich sind die streitsüchtigen und sangesfreudigen Seeräuber von der wilden 13, wie sich zum Schluss herausstellt, sind sie eigentlich nur zu zwölft. Aber auch die vermeintlich kleinen Rollen – exemplarisch genannt seien Niclas Larscheid als textsicherer Oberbonze Ping Pong oder Udo Stratmann als stummes Walross – sind herrlich besetzt.
Am Ende bleiben keine Fragen offen, alle haben ihren Platz gefunden: Jim Knopfs Herkunft ist geklärt, der Leuchtturm leuchtet wieder, die Piraten bringen alle jemals gestohlenen Kindern zurück (und bedienen sich dafür beim Publikum), sogar eine Krönung kann man noch erleben. Stehende Ovationen, Bravorufe und viele Vorhänge (die es in Schuld gar nicht gibt) für ein hingebungsvolles Ensemble.
Vorstellungen sind bis 06. August immer samstags um 20:30 Uhr und sonntags um 15:30 Uhr, außerdem am Freitag, den 28. Juli bzw. 04. August um 19:30 Uhr. Kartenvorbestellungen unter Telefon 0651/9790777 oder unter www.ticket-regional.de/vorverkaufsstellen.php.

SCHÜ

Erschienen am 05.07.2023 im Blick aktuell Nr. 27/2023