Mehr oder weniger alltägliche Geschichten,
von Gregor Schürer
Eigentlich ist Mittwoch mein Saunatag. Einmal monatlich nehme ich mir eine Auszeit und sauniere. Ich mag es warm, es macht mir nichts aus, zu schwitzen, es ist gesund und entspannend. Meistens jedenfalls.
Neulich war ich aber an einem Dienstag in der Sauna. Das heißt, anderes Personal und andere Besucher als sonst.
Fangen wir beim Personal an.
Sonst macht ein Saunameister den Aufguss in der großen Sauna. Er kommt herein, stellt sich vor und erklärt den Ablauf: Mit welchem Duft und wie oft er aufgießt und wie man sich verhalten soll, vorzugweise ruhig und schweigend. Dann gießt er die mit Aromen versehene Flüssigkeit auf den heißen Ofen und verteilt den Dampf mit einem Handtuch oder Fächer im Raum, je nach Talent mehr oder weniger elegant.
Heute betritt eine Saunameisterin das Blockhaus. Sie stellt sich vor den Ofen, aufrecht und kerzengerade, schweigt und wartet, bis alle Augen auf ihr ruhen und es still wird im Raum. Dann nennt sie ihren Namen und erklärt kurz das Prozedere. Sie verteilt mit sicherer Hand den Aufguss mittels einer Kelle auf den glühenden Steinen. Dann tänzelt sie in dem schmalen Zwischenraum, den sie zwischen Saunaofen auf der einen und voll besetzten Saunabänke auf der anderen Seite hat und verteilt mit einem großen Fächer mit fließenden Bewegungen die Luft. Ganz exakt geht sie dabei vor, ohne irgendwo anzustoßen oder hängen zu bleiben. Am Ende dreht sie fast eine Pirouette beim Richtungswechsel. Es ist, als umtanze sie den dampfenden Saunaofen, ganz bei sich, ohne einen Blick für die schwitzenden Besucher. Fast denke ich, sie könnte das auch mit geschlossenen Augen, ohne dem glühenden Ofen zu nahe zu kommen, so perfekt bewegt sie sich, beinahe wie in Trance.
Nicht nur ich bin fasziniert, viele schauen ihr staunend zu. Niemand muss die sonst üblichen Schwätzer zur Raison bringen, es ist mucksmäuschenstill in der Sauna.
Hinterher spreche ich sie an: „Der Aufguss eben, das war ja fast wie ein Ballettaufführung, eine Sauna-Choreografie.“
Sie lächelt und sagt nur ein Wort: „Danke.“
Dankbar bin auch ich, denn ich habe wieder Futter für meine Kolumne. Am besten, ich schreibe die Geschichte gleich auf. Mit dem Saunatuch um die Hüften suche ich mir ein ruhiges Plätzchen, setze mich und mache mir Notizen.
Nun zu den Besuchern.
Ganz vertieft bin ich in meine Aufzeichnungen, sodass ich gar nicht gleich bemerke, dass sich jemand vor mir aufgebaut hat. Ich hebe den Kopf – denken sie an die Perspektive, ich sitze, mein Gegenüber steht – und identifiziere zweifelsohne eine Frau, splitterfasernackt. Mein Blick wandert weiter nach oben, sie strahlt mich an und fragt: „Entschuldigen Sie bitte. Kann es sein, dass wir uns kennen?“
Ich studiere ihr Gesicht, irgendwie kommt es mir bekannt vor. Das Problem ist allerdings, dass man die Menschen eher angezogen kennt und erkennt als unbekleidet. „Möglich, aber ich bin mir nicht sicher“, antworte ich.
„Was schreiben Sie denn da?“, sie lässt nicht locker.
„Ich bin Autor und notiere etwas, was ich gerade erlebt habe. Vielleicht haben wir uns ja mal auf einer Lesung getroffen“, fällt mir als rettende Erklärung ein.
„Ja, das kann sein. Wie heißen Sie denn?“
Ich bleibe höflich und sage meinen Namen.
„Jetzt will ich sie aber nicht länger stören. Vielleicht lese ich ja mal was von Ihnen“, verabschiedet sie sich und geht davon, wie Gott sie geschaffen hat.
Lächelnd widme mich wieder meinem Text und denke:
Das ist gut möglich, Gelegenheit dazu gibt es bestimmt.
Zum Beispiel heute.
– Blick Aktuell 13.05.24